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Geschafft: So lief die Entschärfung der Fliegerbombe in Milkel

Bei Erdarbeiten wurde am Donnerstagmorgen in Milkel bei Radibor eine russische 100-Kilo-Bombe gefunden. Alle Einwohner mussten das Dorf verlassen - aber nicht für lange.

Von Miriam Schönbach
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Die Kampfmittelbeseitiger Felix Jenke (l.) und Kai Petrich konnten die Bombe vor Ort entschärfen.
Die Kampfmittelbeseitiger Felix Jenke (l.) und Kai Petrich konnten die Bombe vor Ort entschärfen. © Steffen Unger

Milkel. Kurz vor 18 Uhr schreibt sich an diesem Donnerstagabend Erleichterung in die Gesichter. Noch mit dem Handy am Ohr gibt Polizei-Einsatzführer Mario Steiner Entwarnung. Am anderen Ende sind die Männer vom Kampfmittelbeseitigungsdienst Dresden. Ihre Botschaft: „Die Bombe ist entschärft. Wir kommen zum Dorfzentrum nach Lomske.“ Dem Aufatmen folgt der Griff zum Funkgerät: „100 an alle. Alle Abwehrmaßnahmen können eingestellt werden.“ Das heißt für die Menschen aus Milkel, dass sie in ihre Häuser zurückkehren können und die Straßensperren aufgehoben werden.

Mit Spanngurten im Transporter festgezurrt, wird die entschärfte Bombe nach Zeithain transportiert.
Mit Spanngurten im Transporter festgezurrt, wird die entschärfte Bombe nach Zeithain transportiert. © Steffen Unger

Acht Stunden vorher stoßen an diesem 19. September 2024 Bauarbeiter im Siedlungsweg auf einen metallischen Gegenstand. Hausherr Thomas Schmidt will eigentlich nur seinen Hof neu pflastern, ist aber sofort alarmiert. „Auf dem Grundstück wurde in den 1980er-Jahren schon mal eine Bombe gefunden. Damals gab es in Milkel noch eine Kabarett-Truppe, wir kamen nach einem Auftritt nicht mehr nach Hause, weil alles abgesperrt war“, erinnert sich Feuerwehr-Einsatzleiter Thomas Scheffel. Er und seine Kameraden werden gegen 14 Uhr alarmiert. Keine Übung, das ist ein Ernstfall.

In Milkel verlief im Zweiten Weltkrieg die Frontlinie

Da haben sich Mario Steiner und seine Kollegen vor Ort in der Siedlung aus DDR-Zeiten schon einen Überblick verschafft. Schnell ist klar: Der Kampfmittelbeseitigungsdienst muss hinzugezogen werden. Alarmiert werden Kai Petrich und Felix Jenke, später stößt noch ihr technischer Leiter, Holger Klemig, hinzu. „Wir waren 13.30 Uhr vor Ort, da war die Bombe noch im Boden. Wir haben sie vorsichtig händisch ausgegraben“, sagt Kai Petrich. Nach der ersten Augenscheinnahme ist klar, es handelt sich um eine russische 100-Kilo-Bombe. Diese Geschosse warfen Flieger ab, um den Kampf der Truppen am Boden zu unterstützen. Bei Milkel verlief am Ende des Zweiten Weltkriegs eine Frontlinie.

Jene Bombe fiel, doch ihr Zünder versagte. Deshalb fällt nun die Entscheidung, dass das explosive, gut 80-jährige Überbleibsel vor Ort entschärft werden muss. Aus diesem Grund ordnen die Kampfmittelbeseitiger die Evakuierung in einem Umkreis von 1.000 Metern an. Gegen 15 Uhr tönt die Sirene in dem kleinen Dorf in der Gemeinde Radibor.

Weiträumige Straßensperren werden errichtet, die Aktiven von sechs Freiwilligen Feuerwehren gehen von Haus zu Haus. Radibors Bürgermeisterin Madeleine Rentsch (parteilos) kümmert sich währenddessen um einen Bus für Einwohner, die nicht mobil sind, und ihren Transport in die Notunterkunft. Sie wird in der Sport- und Mehrzweckhalle „Slavia“ in Radibor eingerichtet.

Die Evakuierung begann gegen 15 Uhr, es durfte niemand im Ort bleiben.
Die Evakuierung begann gegen 15 Uhr, es durfte niemand im Ort bleiben. © Steffen Unger

Vor Ort sind auch Mitarbeiter des Landratsamtes Bautzen, des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) und weitere Helfer. Alle unterstützen die reibungslose Evakuierung der rund 300 Einwohner aus Milkel und dem angrenzenden Teicha-Vorwerk. Die letzte Einwohnerin verlässt 17.15 Uhr den Ort. Neben ihrem Rollator lehnt Gerda Pietsch an ihrem Gartenzaun und wartet auf den Abholdienst. Die 78-Jährige wohnt seit 55 Jahren in Milkel. Sie nimmt die Situation gelassen. Mit Hilfe steigt sie in den ASB-Wagen, der sie nach Radibor bringt. Die meisten Milkeler sind aber bei Familie und Freunden untergekommen.

Auf geht's in die Notunterkunft nach Radibor. Gerda Pietsch verlässt Milkel als letzte Einwohnerin.
Auf geht's in die Notunterkunft nach Radibor. Gerda Pietsch verlässt Milkel als letzte Einwohnerin. © Steffen Unger

Nach Gerda Pietschs Abfahrt bleibt Polizei-Einsatzführer Mario Steiner noch eine Aufgabe: Mit seiner Unterschrift als Einsatzleiter bestätigt er, dass die Evakuierung abgeschlossen ist. Dann setzt er sich ins Auto und fährt zum Dorfgemeinschaftshaus im Ortsteil Lomske. Zusammen mit den Feuerwehrleuten und Rettungsdienstlern bleibt ihm nun nur zu warten. Nicht neu für Steiner: Auch am 31. Oktober 2023 leitete er den Einsatz, als in Schönau bei Ralbitz-Rosenthal eine Fliegerbombe entschärft wurde.

Reststahl kommt ins Stahlwerk Riesa

Und dann kommt jenes Durchatmen. 18.10 Uhr rollt der Kampfmittelbeseitigungsdienst schon auf den Platz vor der Einsatzzentrale in Lomske. Mit Spanngurten ist die entschärfte 100-Kilo-Bombe im Transporter befestigt, der Zünder wird separat transportiert: verrostete Gefahr mit 50 Zentimetern Länge und 30 Zentimetern Durchmesser. „Danke“, lobt Kai Petrich Richtung der Wartenden. „Ihr wart richtig schnell mit der Evakuierung.“ Wenn die Entschärfung nicht möglich gewesen wäre, hätte der Fund auf einem Feld gesprengt werden müssen.

Kurz nach 18 Uhr ist der Einsatz beendet, der Kampfmittelbeseitigungsdienst kommt mit der entschärften Fracht nach Lomske.
Kurz nach 18 Uhr ist der Einsatz beendet, der Kampfmittelbeseitigungsdienst kommt mit der entschärften Fracht nach Lomske. © Steffen Unger

Das zeitige Ende des Einsatzes freut die professionellen Entschärfer. Ihr nächster Auftrag ruft bereits. So mahnt Felix Jenke nach ein bisschen Small Talk mit Feuerwehrleuten und Co. zur Eile. Bereitschaft heißt, dass die zwei Kampfmittelbeseitiger gleich noch nach Chemnitz fahren müssen.

Dort wurde eine Wurfgranate gefunden, ein etwas kleineres Kaliber als das Milkeler Modell. „Jede Bombe ist knifflig und individuell“, sind sich die Spezialisten einig. Der russische Schwergewichtler zählt aber in der Region zu den häufigeren Funden im Erdreich. Das Geschoss kommt nun wie alle anderen entschärften Sprengkörper nach Zeithain. Dort werden diese in Scheiben zersägt, der Sprengstoff wird im Hochofen thermisch vernichtet und der Reststahl zurückgeführt - ins Stahlwerk nach Riesa.