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Albtraum Hitler: Bautzener Puppenbühne inszeniert die Groteske "Mein Kampf"

Bautzens Puppentheaterchef Tim Heilmann bringt mit seinem Ensemble George Taboris Meisterwerk auf die Bühne. Erzählt wird der Aufstieg eines Diktators mithilfe vieler Mitläufer.

Von Miriam Schönbach
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George Taboris Groteske "Mein Kampf" wird in Bautzen als Inszenierung mit Puppen gezeigt.
George Taboris Groteske "Mein Kampf" wird in Bautzen als Inszenierung mit Puppen gezeigt. © Roman Koryzna/Theater Bautzen

Bautzen. „Pass auf dich auf, Shlomo Herzl, die Liebe ist lebensgefährlich", rät Lobkowitz seinem Freund. Der Fingerzeig ist wohl adressiert. Der menschenliebende Buchhändler fühlt sich verantwortlich für den ungestümen Hitler, der eines Tages im Wiener Männerwohnheim auftaucht. Hingebungsvoll kümmert er sich um den Neuankömmling, kocht für den Möchtegern-Kunstmaler, stutzt ihm den Bart und gibt ihm Ratschläge für eine Karriere in der Politik. Doch Shlomos Fürsorge hat katastrophale Folgen - für ihn und die Weltgeschichte.

George Taboris (1914 - 2007) Groteske „Mein Kampf“ spielt in Wien kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sie erzählt die Geschichte des Aufstiegs von einem erfolglosen Kunstakademie-Bewerber zum antisemitischen Demagogen und totalitären Diktator. Am Bautzener Theater ist das Stück als erste Puppentheater-Premiere der Spielzeit 2024/2025 zu sehen. Regisseur und Spartenleiter Tim Heilmann holt für die Geschichte sein ganzes Ensemble auf die Bühne – und fünf verschiedene Puppenformen. Für die Figur Hitlers wurde erstmals am Haus eine kindsgroße Vierfüßer-Puppe gebaut.

Im Alkoholrausch: "Ich will die Welt"

Solch eine Puppe wird oft von drei, vier, manchmal fünf Spielenden gleichzeitig geführt, was Gesten und lebensnahe Bewegungen möglich macht. Minutiös wird so auch die kleinste Regung inszeniert – ein Blick, ein Neigen des Kopfes, ein Fußwippen, während Hitler nach seiner wiederholten Ablehnung an der Kunstakademie fabuliert.

Betrunken stolpert er in den Raum, sechs einfache Metallbetten füllen die Bühne, ein Waschtisch, ein Herd, ein paar Haken an der Wand, karge Beleuchtung. Der Eingangstür mit der Kreideaufschrift "Hitler" liegt gleich der Abort gegenüber. „Ich will die Welt!“, stürzt es aus dem Provinzler im Alkoholrausch heraus. Shlomo wirft dem ungehobelten jungen Mann aus Braunau am Inn erstaunt zu: „Bedenke doch, was alles dranhängt.“

Regisseur Tim Heilmann zeichnet den Shlomo Herzl als verschrobenen Menschenfreund, der sich von seinem neuen Mitbewohner fast magnetisch angezogen fühlt.
Regisseur Tim Heilmann zeichnet den Shlomo Herzl als verschrobenen Menschenfreund, der sich von seinem neuen Mitbewohner fast magnetisch angezogen fühlt. © Steffen Unger

Das Stück ist eine zeitlose Parabel vom Guten, das dem Bösen dient. Es braucht immer ein gesellschaftliches Umfeld für den Aufstieg eines Diktators. Auch wegen der Aktualität hat Tim Heilmann dieser Stoff besonders gereizt. „Ich habe das Stück oft auf der Bühne gesehen und dachte mir: Da fehlt der Clou, um in diese wirkliche Übertreibung zu gehen, die Tabori will“, sagt der Regisseur.

Bei der Beschäftigung damit habe er festgestellt, dass noch kein Theater die Groteske mit Puppen inszeniert habe, obwohl es sich aus seiner Sicht anbiete. „Mithilfe der Puppen können wir Hitler anders in eine Karikatur treiben. Ich will erzählen, dass er leblos wäre, wenn nicht Menschen an ihm dran wären.“

„Hitler, Du missbrauchst meine Menschlichkeit“

Auf der Bühne braucht der emotionslose Choleriker in diesem Augenblick vier „Mitläufer“, um die Puppe Richtung Abort zu bringen. Während drei Puppenspieler schweigen, gibt Rodrigo Umseher der Figur die Stimme, Andreas Larraß wiederum ist das nachdenkliche Gegenüber.

Tim Heilmann zeichnet den Shlomo Herzl als verschrobenen Menschenfreund, der die mahnenden Worte seines Freundes - "Pass auf " - wegwischt und so in sein Verderben rast. Hitler gefällt sich immer mehr in der Rolle des manipulativen Welteroberers, verführt Shlomos junge Freundin. Fast flehend stößt dieser dem Täter entgegen: „Hitler, Du missbrauchst meine Menschlichkeit.“

Mit Frau Tod ist auch eine Großkopffigur in der Bautzener Inszenierung von "Mein Kampf" zu erleben. Insgesamt kommen fünf verschiedene Puppenformen zum Einsatz.
Mit Frau Tod ist auch eine Großkopffigur in der Bautzener Inszenierung von "Mein Kampf" zu erleben. Insgesamt kommen fünf verschiedene Puppenformen zum Einsatz. © Roman Koryzna/Theater Bautzen

„Mein Kampf“ ist das bekannteste Stück des britisch-ungarischen Schriftstellers George Tabori – in mehr als 190 Inszenierungen wurde es weltweit aufgeführt, der Stoff diente auch als Filmvorlage. Gut 50 Jahre nach Charlie Chaplins „Der große Diktator“ war der Dramatiker einer der Ersten, der Adolf Hitler als Komödienfigur wiederentdeckte. George Tabori steht stellvertretend für ein europäisches Schicksal des 20. Jahrhunderts. Sein Leben lang spiegelte er, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde, in vielen seinen Schriften das Grauen des Hitler-Terrors mit schwarzem Humor, absurder Komik und wahnsinnigem Ernst.

Zurück bleibt die Frage: Wie konnte das passieren?

Am Ende des Spiels werden die Puppen in einem Alptraum übermächtig. „Eigentlich sagt man, die Puppen sind die Mitläufer. In diesem Fall sind die Puppen die Täter. Am Anfang des Stücks ist eine große Ordnung, die Bewohner des Heims haben ihre Rhythmen, bis dieser Hitler kommt und ihre Welt in ein großes Chaos versetzt“, wirft Puppenensemble-Chef Tim Heilmann einen Blick ans Ende der Inszenierung. Zurück bleiben die Beobachter mit der Frage: Wie konnte das passieren?

Mit diesem Impuls möchte der Regisseur auch sein Publikum nach Hause schicken. „Ich glaube, dass das Stück Gesprächsstoff bieten wird. Schon jetzt haben wir tolle Nachfragen von Oberstufen aus Schulen zu dieser Produktion“, sagt er. Auf der Bühne indes nimmt der Größenwahn Hitlers seinen Lauf. Er gefällt sich in der Rolle des Welteroberers, er sorgt für den Alptraum. Am Ende heißt es Durchatmen. Zum Glück ist das „nur“ Theater.

Premiere „Mein Kampf“ am 20. und 21. September 2024, jeweils 19.30 Uhr im Burgtheater Bautzen, Karten unter www.theater-bautzen.de