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Bautzens ältestes Modegeschäft wird 120 Jahre alt

Seit 120 Jahren gibt es die Herrenmode Nebel auf der Bautzener Reichenstraße. Das Traditionsgeschäft hat schon so manche turbulente Zeit durchstanden. Wie es weitergeht, ist aber noch offen.

Von Tim Ruben Weimer
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Dirk Ehrlich und seine Frau Carola führen Bautzens ältestes Modegeschäft seit 34 Jahren.
Dirk Ehrlich und seine Frau Carola führen Bautzens ältestes Modegeschäft seit 34 Jahren. © Steffen Unger

Bautzen. 120 Jahre - die Zahl lässt sich erst wirklich vorstellen, wenn man sich vor Augen führt, was in dieser Zeit alles passiert ist: Als Richard Nebel 1904 sein Herrenmodegeschäft in Bautzen gründete, war Kaiser Wilhelm, der Zweite, noch an der Macht, und die Bautzener Friedensbrücke (damals Kronprinzenbrücke) war noch nicht errichtet. Es folgten zwei Weltkriege, die staatliche Betriebseinverleibung in der DDR bis zur fast ein halbes Jahr andauernden Zwangsschließung in der Corona-Pandemie.

"Die Firma Nebel gibt es ja immer noch"

Wenn Kunden heute zu Dirk Ehrlich ins Geschäft auf der Reichenstraße 13 kommen und ihn mit "Herr Nebel" ansprechen, heißt es häufig: "Mensch, die Firma Nebel gibt es ja immer noch!" Dann werden auch mal Hochzeits- oder Jugendweihbilder aus längst vergangenen Zeiten herausgekramt, und es wird über die Anzüge von damals debattiert.

Dirk Ehrlich führt mit seiner Frau Carola das Geschäft nun bereits in vierter Generation, vom 19. bis 21. September 2024 feiern sie ihr 120-jähriges Bestehen. Er - genau wie seine Frau eigentlich gelernter Bauingenieur und einer bekannten Bautzener Architektenfamilie entstammend - führt das Geschäft seit der Wende und damit so lange wie keiner seiner Vorgänger. Er hatte das Geschäft 1990 von seinem Schwiegervater übernommen.

Größe und Stil werden mit bloßem Auge erkannt

Beim Herrenausstatter Nebel trifft langjährige Erfahrung auf Tradition: Die beiden Angestellten sind ebenfalls bereits seit 1992 im Geschäft - worauf der Inhaber stolz ist. Die Kassenzettel werden sogar immer noch mit der Hand geschrieben. "Die Kunden mögen das." Nötig wäre es natürlich schon längst nicht mehr. Doch es zeige, dass jeder Kunde wertgeschätzt werde.

"In einem Fachhandel wie unserem darf ein Kunde nicht nach Größe oder gewünschter Farbe gefragt werden - das müssen wir mit geschultem Auge erkennen", erklärt der Inhaber. "Früher sind meine Frau und ich auf Veranstaltungen gegangen und haben aus Spaß die männlichen Gäste nach Größe und Stil eingeschätzt", erzählt er. Gerade bei Männern gehe es schließlich darum, nicht erst zehn Anzüge anprobieren zu müssen, bis der passende gefunden ist. "Diesen Service bekommt man bei den großen Textilketten nicht", so der Geschäftsführer.

Drei weitere Läden in Bautzen inzwischen wieder geschlossen

Allerdings - die Aufbruchsstimmung der Nachwendejahre ist auch beim Geschäft Nebel vorbei. 1992 eröffnete Dirk Ehrlich ein zusätzliches Übergrößengeschäft im heutigen Grünschnabel, später kamen der Laden Luigi mit hochpreisigerer Kleidung auf dem Wendischen Graben und ein Sportswear-Geschäft unter gleichem Namen im Kornmarkt-Center dazu. Das letzte dieser Geschäfte schloss 2018, seitdem beschränkt sich die Firma wieder auf das Stammgeschäft in der Reichenstraße.

"Die Kosten waren einfach zu hoch. Nur weil wir mehr Umsatz gemacht haben, bedeutete das nicht automatisch mehr Gewinn." Auf der Reichenstraße profitiert er von Touristen und Geschäftskunden, die in Bautzen unterwegs sind. Denn der Kreis der Kunden, die zum Herrenausstatter gehen, habe sich in den letzten Jahrzehnten verkleinert. Nun seien es nicht nur Bautzener, sondern vor allem Kunden aus umliegenden Städten wie Cottbus, Hoyerswerda oder sogar Dresden, die die umfassende Beratung zu schätzen wüssten.

Zukunft des Traditionsgeschäfts unklar

Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs und der Diskussion um das Heizungsgesetz spüre auch er die Kaufzurückhaltung im Geschäft. "Die Kunden überlegen sich zweimal, ob das neue Hemd wirklich notwendig ist." Ein Problem sei das für ihn aber nicht: Er ermutige seine Kunden sogar dazu, noch einmal eine Nacht über einer Kaufentscheidung zu schlafen. "Ich heiße nicht nur Ehrlich, ich diskutiere auch ehrlich mit den Kunden", sagt der Händler. "Es kommt bei Menschen einfach gut an, wenn man offen miteinander ist und die Kunden einem auch nach Verlassen des Geschäfts noch in die Augen schauen können."

Doch nach 120 Jahren Modeausstatter Nebel ist noch offen, wie es mit dem Geschäft weitergeht. In seinen 34 Jahren als Geschäftsführer hat Dirk Ehrlich 17 Lehrlinge ausgebildet, doch halten ließ sich davon keiner - aus den unterschiedlichsten Gründen. "Mir macht das Geschäft immer noch Spaß, auch wenn ich nach der Wende bei Null begonnen habe", sagt der 66-Jährige - ein Schluss ist damit erstmal noch nicht in Sicht. Und vielleicht finde sich ja noch jemand, der nach ein paar Jahren Einarbeitung Lust hätte, das Geschäft weiterzuführen.