Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Anzeige

Depression und bipolare Störung per App besser verstehen

Affektive Störungen sind quälend für die Betroffenen und teuer für die Gesellschaft. Ein Sonderforschungsbereich an der TUD beschreitet neue Wege bei der Erforschung der psychischen Erkrankungen.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
© Adobe Stock

Jeder hat mal einen schlechten Tag – Tiefs gehören einfach zum Leben. Wenn ein Mensch sich aber über Wochen oder Monate auf der Talsohle seines Gefühlshaushalts befindet, ist er ernsthaft krank. „Depression“ lautet dann meist die Diagnose. Die Depression ist eine sogenannte affektive Störung. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort „affectus“ ab, das „Gemütsverfassung“ oder „Stimmung“ bedeutet. Zu den affektiven Störungen zählt auch die bipolare Störung, die man früher als „manisch-depressive Erkrankung“ bezeichnete. Dieses Leiden ist durch extreme Stimmungsschwankungen gekennzeichnet – das Leben pendelt zwischen Phasen tiefer Niedergeschlagenheit und Episoden, in denen ein unnatürlich übersteigertes Wohl- und Selbstwertgefühl und ein impulsiver und risikoreicher Lebensstil den Alltag der Betroffenen bestimmen.

Depression: eine Volkskrankheit

Etwa acht Prozent aller Erwachsenen erleben im Zeitfenster von zwölf Monaten behandlungsbedürftige depressive Episoden, etwa zwei Prozent leiden an einer bipolaren Störung. Diese Zahlen variieren abhängig von Quelle und Diagnosekriterien. Sie zeigen aber, dass affektive Störungen keine Nischenphänomene sind. „Wir sprechen von Volkskrankheiten“, sagt Prof. Michael Bauer, „denn zwischen 20 und 30 Prozent aller Menschen erleben in ihrem Leben mindestens eine Periode einer solchen Erkrankung, und zwar unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und kulturellem Hintergrund“. Der Psychiater war von 2007 bis 2024 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und damit in seinem Fachbereich für Krankenversorgung, Forschung und Lehre sowohl an der Uniklinik als auch an der Medizinischen Fakultät der TUD tätig. Sein Arbeitsschwerpunkt sind affektive Störungen, und das bereits seit Beginn seiner medizinischen Karriere im Jahr 1990. Der studierte Biologe, der seine Promotion im Bereich der molekularbiologischen Grundlagenforschung ablegte, hat mit diesen Erkrankungen einen Forschungsgegenstand, der ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen einen langen Atem abverlangt. „Das Grundproblem ist, dass affektive Störungen wiederkehrende Krankheiten sind. Leider kann man sie noch nicht heilen, und vielleicht wird man das nie können.“

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer © TU Dresden

Für die Zukunft: interaktiver Forschungsansatz

Deshalb ist es wichtig, Depression und bipolare Störung noch viel besser kennenzulernen. Entsprechendes Wissen zu erweitern ist keine Forschung fürs Bücherregal, es ist die Basis für die Verhinderung zukünftigen Leidens – auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene, denn die Folgen affektiver Störungen erdrücken nicht nur die Erkrankten und ihre Angehörigen. Einer Schätzung des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zufolge verursacht allein die Depression hierzulande einen jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden von bis zu 22 Milliarden Euro. „Die Verluste entstehen einerseits durch die immensen Kosten der Krankheit für die Gesundheitssysteme, andererseits durch die meist sehr langen Ausfallzeiten bei der Arbeit“, erklärt Michael Bauer. Auch deshalb kann sich die Technische Universität freuen, dass es dem Professor zusammen mit seiner Kollegin Prof. Andrea Pfennig und weiteren Dresdner Wissenschaftlern gelungen ist, einen vielversprechenden Sonderforschungsbereich (SFB) einzuwerben. „Ein Sonderforschungsbereich ist eine Fördermöglichkeit, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgewiesen wird. Im Grunde ist es das größtmögliche Förderinstrument der hiesigen Forschungslandschaft“, erklärt Michael Bauer. „Unser SFB wird von drei Hochschulstandorten getragen: Marburg, Münster und Dresden. Die Förderdauer beträgt vier Jahre, bei Erfolg kann ein solcher SFB sogar auf bis zu zwölf Jahre verlängert werden.“ Allein den Forschenden der TUD stehen dabei 3,7 Millionen Euro Forschungsgelder für die kommenden vier Jahre zur Verfügung. Im Boot sind, über die drei Universitäten verteilt, insgesamt 38 Experten für affektive Störungen.

Der Sonderforschungsbereich enthält mehrere Einzelforschungsprojekte, die miteinander zusammenhängen. Zentral ist in diesem Fall der Aufbau einer Kohorte von an einer affektiven Störung erkrankten Menschen, die über einen Zeitraum von zunächst zwei Jahren engmaschig beobachtet wird. Besonders Rückfälle müssen erfasst und dokumentiert werden, zusätzlich werden die Forschenden immer so zeitnah wie möglich untersuchen, was bei den Probanden auf biologischer und psychischer Ebene passiert. Zentrales Werkzeug hierfür ist eine eigens für das Projekt entwickelte App, die mit Zustimmung der Teilnehmer engmaschig Daten sammelt. Die Häufigkeit von Telefonaten, Nachrichten und sonstigen digitalen Interaktionen wird dabei genauso erfasst wie die Bewegungsradien der Probanden und die Zahl ihrer täglichen Schritte. Ergänzend geben die Teilnehmenden in der App Auskunft zu ihrer psychischen Verfassung. „Abhängig von diesen Informationen werden weitere Fragen automatisch in der App aufgerufen. Beim Erreichen bestimmter Schwellen wird so schnell wie möglich das persönliche Gespräch am Telefon gesucht“, beschreibt Michael Bauer das Prozess. „Gegebenenfalls werden die Teilnehmenden einbestellt, zum Beispiel zur Blutabnahme oder für ein MRT. Alle Daten möchten wir immer so gegenwärtig wie möglich erheben.“

Austausch wird gefördert

Das aktive Einfordern von Kontakt und Rückmeldungen durch die Wissenschaftler ist auch deshalb so wichtig, weil depressive Menschen sich oft aus Gesprächen und Aktivitäten zurückziehen, und ihre Umwelt häufig wenig über den Druck erfährt, dem sie ausgesetzt sind. „Dass dieser interaktive Forschungsansatz nicht nur in unseren Augen Potenzial hat, zeigt sich auch in der Art und Weise, wie er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeschätzt wird“, sagt Michael Bauer. „Nachdem unser rund 400-seitiger Vollantrag bei der DFG gestellt worden war, wurde er von zwölf unabhängigen internationalen Fachleuten begutachtet. In diesem Gremium gab es durchweg positive Rückmeldungen, sowohl über den Forschungsgegenstand als auch über die geplante Durchführung. Das ist sehr motivierend, denn es zeigt, dass wir mit unserer Wissenschaft nah dran sind an den Betroffenen.“ (Axel Nörkau)

© TU Dresden