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Zinnwald: Archäologen graben alte Mauern im tschechischen Grenzland aus

Im tschechischen Vorderzinnwald taucht der Grundriss der alten deutschen Marienkapelle auf. Auch Alltägliches kommt wieder ans Tageslicht. Das ist die Geschichte dahinter.

Von Egbert Kamprath
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Die archäologische Leiterin Lucie Kursova (re.) und ihre Mitarbeiterin Anita Kadlecova betrachten an der Ausgrabungsstelle der Marienkapelle eine  Fußbodenfliese. Hier befand sich früher der Altar.
Die archäologische Leiterin Lucie Kursova (re.) und ihre Mitarbeiterin Anita Kadlecova betrachten an der Ausgrabungsstelle der Marienkapelle eine Fußbodenfliese. Hier befand sich früher der Altar. © Egbert Kamprath

Lange Zeit war es Niemandsland, das Areal im tschechischen Grenzland zwischen Cínovec (Böhmisch-Zinnwald) und Vojtovice (Voitsdorf). Bäume und Wiesen erstrecken sich da, wo sich bis vor 80 Jahren der kleine Ort Vorderzinnwald (Přední Cínovec) mit seinen ursprünglich rund 200 Einwohnern befand.

Von den Häusern, die hier einmal standen, der Schule, dem Gasthof oder der Marienkapelle war nichts mehr zu sehen. Nach Vertreibung der hier lebenden Deutschen waren die Gebäude Anfang der 1950-er Jahre komplett abgerissen und im wahrsten Sinne des Wortes dem Erdboden gleich gemacht worden. Das frühere Dorf geriet immer mehr in Vergessenheit. Die meisten Leute fuhren hier vorbei, ohne etwas von der Historie zu wissen. Nur hier und da kann man an der anders gearteten Vegetation, einem zugewucherten Steinhaufen oder versteckten Kellerlöchern erahnen, dass die Gegend einmal bewohnt war.

Doch seit einiger Zeit interessieren sich die Historiker wieder für den Ort am Erzgebirgskamm. Im Nachbarland entwickelt sich zunehmend das Verständnis, dass zur tschechischen Geschichte über viele Jahrhunderte auch die Historie der Deutschen gehört, speziell im Grenzland.

Wechselvolle Wege für Marienaltar aus Cínovec

Einer derjenigen, die einen großen Anteil daran haben, ist Jan Kvapil. Über sein Interesse an der Geschichte eines spätgotischen Madonnenaltars wurde immer mehr auch seine Neugier über das Umfeld geweckt. Diesem Umstand ist es im Wesentlichen zu verdanken, dass ausgerechnet im früheren Vorderzinnwald gegraben wird, denn vergessene Dörfer gibt es im Grenzland viele.

Hier stand seit 1887 in einer neu gebauten Kapelle der Marienaltar, der ursprünglich aus der Kirche in Fürstenau stammte. Über wechselvolle Wege gelangte er nach Kriegsende in die Cínovecer Kirche, wurde in den 1990-er Jahren aus Sicherheitsgründen ausgelagert und hat inzwischen einen dauerhaften Standort im Teplicer Museum gefunden. Bei ersten Untersuchungen im Herbst 2022 wurden nun Reste der früheren Marienkapelle frei gelegt. Das war der Beginn eines Projektes, das in diesem Sommer fortgesetzt wird.

Scherben, Nägel, Patronenhülse gefunden

Mittlerweile ist das komplette Fundament der kleinen Kirche zu sehen. Direkt daneben wurden auch die Reste des Denkmals für die Gefallenen des ersten Weltkriegs freigelegt. Finanziert werden die Arbeiten, im wesentlichen durchgeführt durch Mitarbeiter des Teplicer Museums, von der Gemeinde Dubí.

Jan Kvapil freut sich zusammen mit den Archäologen über jeden Fund, von der Mosaikglasscherbe über Fußbodenfliesen bis zum Klöppel der alten Glocke. "Es sind kleine, scheinbar unbedeutende Dinge, die wir finden. Es gab viele erhalten gebliebene Dokumente, wie das Kirchenarchiv oder Lieferrechnungen, doch die Sachzeugen dazu fehlten. Wir betreiben quasi Archäologie rückwärts. Normalerweise gräbt man erst Sachen aus und erkundet dann deren Herkunft, hier läuft es genau anders herum."

Scherben, eine Patronenhülse und einige verrostete Nägel wurden bei den Ausgrabungen mit freigelegt.
Scherben, eine Patronenhülse und einige verrostete Nägel wurden bei den Ausgrabungen mit freigelegt. © Egbert Kamprath

Jan Kvapil schwebt für die Zukunft ein Lehrpfad durch das frühere Vorderzinnwald vor. Dazu soll unter anderem ein bestehender Weg von Fürstenau aus über die Grenze verlängert werden. Am Eingang steht ein wieder entdeckter früherer Grenzstein der k.u.k.Monarchie Österreich-Ungarn aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Zwar nur als Rest erhalten, lag er lange unbeachtet neben einer Steinrücke. Jetzt haben ihn Jan Kvapil und der Altenberger Peter Adam, der aus Interesse ehrenamtlich hin und wieder vorbeischaut und mit anpackt, wieder aufgestellt.

Peter Adam (re.) und Jan Kvapil setzen die Reste eines früheren Grenzsteins der k.u.k. Monarchie in den Boden. Hier soll künftig ein Weg durch das frühere Vorderzinnwald beginnen.
Peter Adam (re.) und Jan Kvapil setzen die Reste eines früheren Grenzsteins der k.u.k. Monarchie in den Boden. Hier soll künftig ein Weg durch das frühere Vorderzinnwald beginnen. © Egbert Kamprath

Idee für einen Rundwanderweg

Zentraler Punkt der Erinnerung sollen aber die frei gelegten Fundamentreste der Kapelle werden. Für den besseren Eindruck ist geplant, die Mauern noch etwas zu erhöhen. Neben der Ruine soll ein Rastpunkt entstehen, an dem auch eine entsprechende Erläuterung zum Ort angebracht wird.

Jan Kvapil hat die Idee, dass das ehemalige Vorderzinnwald über einen Rundweg und Hinweistafeln erschlossen und so zu einem Anlaufpunkt wird. "Es ist ungemein spannend, hier zu stehen und zu erleben, wie Geschichte wieder lebendig wird. Das Betrachten von alten Fotos kann nur zum Teil einen Eindruck vermitteln. Stück für Stück die Mauern frei legen ist noch etwas ganz anderes. Ich denke, diese Spannung werden künftig auch andere erleben, wenn sie hier stehen."

Katernina Laufova arbeitet an den Resten des freigelegten Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das ursprünglich vor der Kapelle stand.
Katernina Laufova arbeitet an den Resten des freigelegten Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das ursprünglich vor der Kapelle stand. © Egbert Kamprath

Und er bedauert, wie viel Wissen schon verloren gegangen ist, da kaum noch Zeitzeugen leben. Um die Erinnerung wach zu halten, wurden deshalb viele Fundstücke, Dokumente und Fotos als Teil einer Wanderausstellung zusammengetragen. Diese war zum Beispiel schon in Dubí zu sehen und wird Stück für Stück erweitert. Nach einer Tour durch Tschechien ist im nächsten Jahr geplant, dass sie auch im Museum Schloss Lauenstein gezeigt wird.