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Ohne "die Russen" keine Kartoffeln bei der Liebenauer Agrargesellschaft

Die Kartoffel-Selbstlesetermine von Liebenau und Reinholdshain sind sehr beliebt. Allerdings wird die Erntetechnik immer mehr zum Oldtimer.

Von Siiri Klose
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Mechaniker Dustin Eberth kennt sich ebenfalls schon gut aus mit der "Russen"-Technik.
Mechaniker Dustin Eberth kennt sich ebenfalls schon gut aus mit der "Russen"-Technik. © Egbert Kamprath

Die Russen stehen da drüben. Steffen Grahl, sozusagen der Traktorist bei der Liebenauer Agrargesellschaft, weist mit dem Daumen hinter sich, denn er hat sich gerade eine Bratwurst geholt und will endlich ein bisschen Pause machen. Mit "Russen" meint er die beiden sichtlich in die Jahre gekommenen Traktoren in verblasstem Rot, die gegen die neueren Semester geradezu zierlich wirken.

Im ersten Morgengrauen gegen sechs Uhr standen die ersten Kartoffellese-Willigen auf dem Acker am Neuen Querweg in Liebenau und warteten, dass Grahl und sein Kollege Ingolf Beckert die Kartoffeln auffahren - mit eben jenen Traktoren. An ihnen hängt jeweils ein Siebkettenroder, dessen Scharblech unter die Kartoffeln fährt und sie samt Erde auf das Sieb weiterleitet. Das rüttelt die Erde raus, sodass zum Schluss die Kartoffeln obenauf liegen - bereit zur Lese.

Das geübte Auge von Ingolf Beckert hat am Siebkettenroders einen Schwachpunkt entdeckt: "Die Kette darf sich nicht berühren", sagt er, "da müssen wir ein Glied rausnehmen."
Das geübte Auge von Ingolf Beckert hat am Siebkettenroders einen Schwachpunkt entdeckt: "Die Kette darf sich nicht berühren", sagt er, "da müssen wir ein Glied rausnehmen." © Egbert Kamprath

Jetzt, gegen 11 Uhr, sind die allermeisten Selbstleser bereits fertig, haben ihre 25-Kilogramm-Säcke verstaut und stehen nun ebenfalls an nach Bratwurst oder Wildschweinfleisch vom Spieß. Von den 2,6 bestellten Hektar sind bereits 280 Doppelzentner rote Laura-Kartoffeln verschwunden, 28 Tonnen also. Die beiden "Russen" haben nur noch wenige Furchen vor sich.

Made im Minsker Traktorenwerk

Doch warum heißen sie eigentlich so? "Ist ein MTS 52", erklärt Ingolf Beckert. Die Buchstaben stehen für Minski Traktorny Sawod, die 52 weist auf die erste Baureihe mit Allradantrieb hin. In der DDR kamen sie seit den frühen sechziger Jahren auf den Acker. Obwohl Beckert und Grahl ihr 40. Betriebsjubiläum in der Agrar Liebenau bereits hinter sich haben, waren diese in der Sowjetunion gebauten Traktoren bereits vor ihnen da - seit 1976, um genau zu sein.

Die beiden Siebkettenroder, die sie hinter sich herziehen, auch. Steffen Grahl ruft extra einen ebenfalls altgedienten Kollegen an: 1967 kamen sie nach Liebenau. Ihr Scharblech fährt unter die Kartoffeln und leitet sie samt Erde auf das Siebgestänge weiter. Dort wird die Erde abgeschüttelt, so dass die Kartoffeln am Ende oben in der Furche liegen - bereit für die Ernte.

Legemaschine bestimmt die Furchenbreite

Das Prinzip sieht einfach aus, ist es aber nicht mehr. Die Technik ist inzwischen deutlich in die Jahre gekommen. "Das ist alles noch logisch aufgebaut, ohne Elektrik", sagt der junge Mechaniker Dustin Eberth, "da kann man noch viel dran schrauben." Mittlerweile hat er sich jede Menge Reparatur-Know-How bei Grahl und Beckert abgeschaut: "Ich kann den alten Herren nur dankbar sein, dass ich so viel von ihnen lernen kann."

Der Knackpunkt sind die Ersatzteile - sie fehlen mittlerweile. "Man muss also im Kopf ein bissel fit sein, überlegen, was passen könnte, und improvisieren." Doch es geht ja nicht nur um die Traktoren und die Siebketten, sondern auch den Krautschneider und vor allem die Legemaschine: "Sie ist es, die die Furchenbreite vorgibt." Auf diese Breite ist die gesamte Technik abgestimmt. Ein halbes Jahrhundert später ziehen die modernen Kartoffelerntemaschinen allerdings breiter abgemessene Furchen. Wer also ein Teil des alten Systems ersetzt, muss alle ersetzen - und das lohnt sich weder für die Liebenauer, noch für die Reinholdshainer, die ebenfalls mit der DDR-Technik roden.

Jugend wird an alte Technik herangeführt

Denn bei beiden Landwirtschaftsbetrieben reduziert sich der Kartoffelanbau inzwischen auf die jeweils gut zweieinhalb Hektar für die Selbstlese. "Wir machen es, weil es Tradition ist, weil die Menschen sich jedes Jahr darauf freuen und weil wir uns bedanken wollen für das Verständnis, das sie der Landwirtschaft entgegenbringen", sagt Simon Neisemeier, seit vier Jahren Geschäftsführer der Liebenauer Agrar. Je näher Mähdrescher oder Spritzfahrzeuge an Stadträndern unterwegs sind, desto mehr häuften sich die Beschwerden, "weil in der Stadt ja das Brot direkt im Supermarkt wächst." Auf den Dörfern gäbe es mehr Wissen um die Zusammenhänge.

Futterkartoffel-Verkauf in Liebenau

  • Am Dienstag, den 24. September, verkauft die Liebenauer Agrar GmbH von 14 bis 17 Uhr die aussortierten Kartoffeln der Selbstlese als Futterkartoffeln im Schrotboden/Futtermittelverkauf auf der Hauptstr. 26 (beim Feuerwehrgerätehaus).
  • 25 Kilogramm kosten 7 Euro.

Um moderne Kartoffelmaschinen richtig auszulasten und damit auch zu refinanzieren, müssten sie mindestens 300 Hektar bestellen. Doch für gute Ernten sind die Böden hier im Osterzgebirge nicht optimal: "Zu steinig", sagt Steffen Grahl. "Deshalb wird jetzt die Jugend an die alte Technik rangeführt." Doch wenn die Legemaschine der Reinholdshainer kaputtgeht, die sich die Liebenauer im Frühjahr regelmäßig ausleihen, "dann war's das wahrscheinlich."