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Ausufernde Bürokratie in Sachsen: "Das ist Wahnsinn, man braucht für alles Ordner"

Bürokratie, steigende Preise, verunsicherter Mittelstand: Sachsens Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Was ist für ihren Erfolg entscheidend? Der "Sachsen-Kompass" und Wirtschaftsvertreter geben Antworten.

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Handwerker Mike Schärschmidt aus dem Leipziger Umland leidet unter dem Papierkram.
Handwerker Mike Schärschmidt aus dem Leipziger Umland leidet unter dem Papierkram. © Andre Kempner

Von Florian Reinke

Leipzig. Dass es immer wieder Hochs und Tiefs gibt, weiß Mike Schärschmidt aus eigener Erfahrung, er ist schließlich lange genug im Geschäft. Doch die vergangenen Jahre, sagt der Inhaber einer Sanitär- und Heizungsfirma aus Markranstädt westlich von Leipzig, seien da schon besonders herausfordernd, gar einschneidend, gewesen. Das Chaos rund um das Heizungsgesetz ist nur ein Beispiel, das auch ihm in Erinnerung geblieben ist.

Fragt man Schärschmidt in diesen Tagen nach seinen größten Sorgen, nennt er vor allem drei Dinge: „Bürokratie, steigende Kosten, die Lage des Mittelstandes“. Es ist ein Dreiklang, den er längst nicht allein ausgemacht hat: Wie die Ergebnisse des „Sachsen-Kompass“ von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung offenbaren, sehen es die Menschen in Sachsen ganz ähnlich.

Sachsen-Kompass: Abbau von Bürokratie ist entscheidend

23.013 Menschen haben sich im Zuge der Umfrage zum Themenfeld „Wirtschaft & Arbeit“ geäußert – und zur Leitfrage, die da lautete: Welche Faktoren sind besonders entscheidend für den künftigen Erfolg der Wirtschaft in Sachsen?

Die Top 3 führt der Abbau bürokratischer Hürden mit 62,4 Prozent (14.350 Stimmen) an, gefolgt von der Stärkung des Mittelstandes mit 61,9 Prozent (14.255) – und niedrigen Energiepreisen mit 48,6 Prozent (11.195 Stimmen). Damit scheinen die Sachsen gut zu wissen, welche Themen in den Betrieben des Freistaates drängen. Denn auch Wirtschaftsvertreter sehen hier großen Handlungsbedarf.

„Das ist Wahnsinn“

Firmeninhaber Schärschmidt kann da nur zustimmen. Fällt der Begriff Bürokratie, lässt sich bei ihm beobachten, wie sein Puls zu steigen scheint. „Das ist Wahnsinn“, sagt er: „Man braucht für alles Ordner, muss so gut wie alles aufheben.“ Platz sei da noch das geringste Problem, vielmehr koste Bürokratie Zeit und Geld.

Das beginne schon mit den Kundengesprächen zu passenden Heizungssystemen. „Früher hat die Angebotserstellung zwei bis drei Stunden gedauert“, sagt Schärschmidt. „Mit der CO2-Beratung, die wir nun durchführen müssen, sind es schon mal sechs

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Entsprechende Beispiele finden sich in nahezu allen Branchen. Angesprochen auf die eingangs erwähnte Befragung sagt Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Sächsischen Industrie- und Handelskammern, er sei wenig überrascht. „Unsere Erhebungen ergeben ein nahezu identisches Bild.“

Sachsens Wirtschaft ist vom Mittelstand geprägt

Er verweist auf die Kernforderungen der sächsischen IHKs zur Landtagswahl, in die Antworten von gut 1.700 Mitgliedsunternehmen eingeflossen sind. „85 Prozent von ihnen fordern die Entbürokratisierung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Die Unternehmen beklagen, dass in der politischen Steuerung nicht die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, sondern Mikromanagement betrieben wird“, sagt Kirpal.

Warum ist die Bürokratie in Sachsens Unternehmen ein so großes Thema? Hier ist wichtig zu betrachten, dass die Wirtschaftslandschaft in Sachsen insbesondere von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist. Man habe es daher mit „gravierenden Problemen zu tun“, sagt Kirpal. „Denn ein großes Unternehmen findet eher die Kapazität, beispielsweise einen Nachhaltigkeitsbericht zu verfassen oder Lieferketten nachzuverfolgen.“ In kleinen und mittleren Firmen erledige das die Geschäftsleitung zusätzlich – mit der Folge, dass weniger Zeit und Kraft für das Kerngeschäft bleibe.

IHK-Chef fordert „Ermöglichen statt Verhindern“

„Die öffentliche Verwaltung muss sich als Partner der Unternehmen verstehen. Da muss vom Sachbearbeiter bis zur Verwaltungsspitze der Grundsatz ’Ermöglichen statt Verhindern’ in die Köpfe“, fordert Kirpal. Das führt denn auch zum zweiten Punkt, der Stärkung des Mittelstandes.

Mathias Reuschel, Vorsitzender der S & P Gruppe und Präsident des Wirtschaftsvereins „Gemeinsam für Leipzig“, wünscht sich, dass Unternehmen wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben. Die Politik müsse im Fokus behalten, „dass wir Unternehmen reale Chancen haben, Wertschöpfung zu betreiben“. Und dazu zähle eben auch ein Bürokratieabbau – die Dinge hängen also miteinander zusammen.

Wie kann der Mittelstand gestärkt werden?

Mike Schärschmidt, der Firmeninhaber aus dem Leipziger Umland, muss sich mit seinem Betrieb in einem Punkt indes keine Sorgen machen: Die Nachfolge seines Unternehmens ist geklärt, die Söhne sollen die Firma perspektivisch übernehmen. Doch so geht es längst nicht allen Firmen in Sachsen. Laut IHK stehen im gesamten Freistaat „Unternehmensnachfolgen in großer Zahl an“ – eine weitere Herausforderung. Es gelte, diese zu erleichtern und finanziell zu unterstützen – und auf diesem Weg den Mittelstand zu stärken.

Und nicht nur das: Die Unternehmen wünschten sich zudem begleitete Transformationsprozesse hin zu einer CO2-armen Wirtschaft. „Und die Energieversorgung muss versorgungssicher, bezahlbar, technologieoffen und nachhaltig gestaltet werden“, sagt Kirpal. Was ihm bei all der Unsicherheit Sorgen bereitet: Man beobachte derzeit einen Tiefstand an betrieblicher Investitionsbereitschaft. Kirpal mahnt: „Wir müssen immer bedenken: Unternehmen erwirtschaften den Wohlstand für uns alle. Dem müssen wir den gebührenden Stellenwert einräumen.“