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Der letzte Schub, und Aeolus fällt vom Himmel

Es wird eng im All. Immer mehr Trümmerteile alter Satelliten versperren den freien Flug ins Universum. Andererseits sind auf die stürzende Raumfahrttrümmer eine Gefahr. Der gezielte Absturz ist daher die beste Alternative. Der war so nie geplant, steht nun aber unmittelbar bevor.

Von Stephan Schön
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Aeolus ist der erste Satellit, der die Windfelder der Erde kontinuierlich vermessen hat. Leipziger Forscher haben mit diesen neuen Daten globale Phänomene in der Atmosphäre berechnen können. Auch den Saharastaub über Deutschland.
Aeolus ist der erste Satellit, der die Windfelder der Erde kontinuierlich vermessen hat. Leipziger Forscher haben mit diesen neuen Daten globale Phänomene in der Atmosphäre berechnen können. Auch den Saharastaub über Deutschland. © ESA

Aus und vorbei. Die Windmission der Europäer ist vollbracht. Der Satellit ist am Ende. Der Absturz hat begonnen. Vom Darmstädter Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumagentur Esa wird die bisher wohl ungewöhnlichste Mission geleitet. Seit Monaten hatten sich die Ingenieure darauf vorbereitet. Seit einer Woche nun geben Sie dem großen Forschungssatelliten Aeolus Steuerbefehle, für die er nicht gebaut wurde.

Es geht darum, Aeolus gezielt und risikofrei zurück zur Erde zu bringen. Das war zu seinen Bauzeiten nie vorgesehen. Zunächst war der Satellit von seiner Flughöhe in 320 Kilometern auf 250 Kilometer gebracht worden. Immer wieder durch Triebwerkszündungen. Der größte Abstieg ist binnen weniger Stunden nun bis Freitag vorgesehen, auf 150 Kilometer hinab. Und dann erfolgt auch der letzte entscheidende Impuls, es sind die letzten Liter Treibstoff, die den Satelliten auf eine Abwärtsbahn Bahn in die Atmosphäre bringen werden.

Bei 80 Kilometern zerbricht und verglüht der Satellit. Allerdings eben nicht hat alles bei einem derart großen Gerät. Es soll daher auf eine Bahn, auf eine letzte Runde um die Erde gebracht werden, von der Ingenieure nun hoffen, die im Atlantik endet. Freitag wird dies geschehen. Bisher zumindest folgt alles diesem Plan, heißt es dazu aus dem Raumfahrtkontrollzentrum der Esa.

Aeolus hat fünf Jahre lang einmalige Daten von den globalen Windsystemen geliefert. Jetzt sind seine Ressourcen aus. Seit 19. Juni gibt es keine Daten mehr. 1,4 Tonnen extrem feste Bauteile sind einfach nur noch Weltraummüll. Und der bedroht mittlerweile eine für die Menschheit wichtige Ressource: den freien Zugang ins All.

Gefährlicher Schrott

Derzeit sind ungefähr 10.000 größere Objekte bekannt, die die Erde umkreisen. Ausgediente Satelliten und Raketenoberstufen. Selbst Fragmente mit einer Größe von zehn bis 30 Zentimetern im erdnahen Weltraum werden regelmäßig mit Radar und optischen Teleskopen geortet. Ihre Bahnen sind bekannt und werden in einem Katalog festgehalten. Daneben gibt es 100.000 bis 150.000 Teilchen größer als einen Zentimeter, über die es nur Schätzungen gibt.

Weltraummüll in den Umlaufbahnen der Erde versperrt mehr und mehr den Weg ins All. Und er wird zur ernsten Gefahr.
Weltraummüll in den Umlaufbahnen der Erde versperrt mehr und mehr den Weg ins All. Und er wird zur ernsten Gefahr. © ESA

Wegen der hohen Bahngeschwindigkeiten von ungefähr 29.000 Kilometern pro Stunde können selbst einen Zentimeter große Teilchen einen Satelliten zerstören. Mehrfach schon musste die ISS ihre Bahn verlassen, um diesen kosmischen Geschossen auszuweichen. Und es werden immer mehr. Es sei denn, sie werden vom Himmel geholt. So wie Aeolus.

Wird heute ein Satellit ins All geschossen, dann gelten für ihn globale Umweltmaßstäbe. „Weltweit wird der Weltraum immer mehr als zu schützende Ressource gesehen“, sagt Tim Flohrer, Esa Abteilungsleiter für Weltraumrückstände. „Alle führenden Weltraumagenturen sind dort dabei.“ Neue alternative technische Verfahren werden heutzutage angewandt. Das können Materialien sein, die schnell in der Atmosphäre verglühen. Oder auch die Planung für den kontrollierten Absturz mittels stärkerer Triebwerke. De-Orbiting-Kits, die können Satelliten gezielt herabholen oder falls zu weit weg, für immer und ewig in die Weite des Alls katapultieren.

Riskanter Sturzflug

Als Aeolus vor gut 20 Jahren entwickelt wurde, gab es das noch nicht. Trotzdem versucht das Esa-Team nun, eine eigentlich unmögliche Raumfahrtmission, für die der Satellit nie konstruiert wurde. Mit Triebwerken, die eigentlich viel zu klein, viel zu schwach sind, soll der 1,4 Tonnen schwere Satellit gezielt zur Erde herab gebracht werden, damit sein Schrott die Bahn im All räumt und seine Trümmer niemanden am Boden gefährden. Aeolus kann weltweit ein Beispiel für andere alte Satelliten werden und ein Vorbild für andere Raumfahrtagenturen sein, sagt Tim Flohrer.

Was aber wird aus den Windmessungen, die entscheidend die Wettervorhersagen verbessert hatten? „Diese präzisen Daten der globalen Windmessungen wie von Aeolus werden fehlen“, sagt Esa-Wissenschaftler Thorsten Fehr der SZ. Erst 2030 etwa wird Aeolus-2 starten. Bis dahin müssen seinen Job andere übernehmen. Die Drei- bis Zehntage-Vorhersagen werden dennoch weiter möglich sein, versichert Fehr. Nur umständlicher halt mit zig Beobachtungen und Messungen von Schiffen und Flugzeugen, mit Satellitenmessungen von Wellenhöhen und den Wolkenbeobachtungen der neuen Wettersatelliten. Es wird ein Puzzle an Daten und indirekten Messungen, das Aeolus vorerst ersetzen muss.

Der Nachfolger für die Wettervorhersage

Der Satellit war nie zur routinemäßigen Wettervorhersage gebaut worden, konnte dafür aber letztlich genutzt werden. Im Blick der Meteorologen waren indes erstmals in dieser Präzision sich verändernde weltweite Windsysteme, die Jets, also Höhenwinde mit Potenzial für Extremwetter.

Atmosphärenforschung war allerdings der wichtigste und ursprüngliche Job für Aeolus. Solche Wissenschaft, wie sie beispielsweise das Leipziger Institut für Troposphärenforschung (Tropos) macht. Dessen Forscher hatten massiv die Daten von Aeolus genutzt, globale Strömungen berechnet, Luftpakete mit Partikeln weltweit verfolgt. Die Leipziger Forscher haben mit diesen neuen Daten globale Phänomene in der Atmosphäre berechnen können. So auch den Zug von Saharastaub über Deutschland.

Nie zuvor konnten die globalen Windverhältnisse so gut beobachtet werden. Aeolus-2 wird dies dann wieder schaffen.
Nie zuvor konnten die globalen Windverhältnisse so gut beobachtet werden. Aeolus-2 wird dies dann wieder schaffen. © ESA

Leipziger Forscher schauen auf Gewitter

Eines der letzten Experimente an Bord von Aeolus vor seinem Sturzflug zurück zur Erde hatten die Leipziger Tropos-Forscher bekommen. Es war riskant und wurde daher ganz ans Lebensende des Satelliten gelegt, berichtet Tropos-Wissenschaftler Sebastian Bley. Riskant deshalb, weil dafür der Satellit gedreht werden musste. Zweimal. Dadurch konnte er dann senkrecht von oben mit dem Laser auf gewaltige Gewittertürme schauen, sagt Bley. Das Institut hat nun Daten von vertikalen Winden, wie es sie bisher nicht gab. Diese Daten werden eben ausgewertet. Sie sollen helfen, die Beobachtungen der Wettersatelliten zu justieren. Also zu verbessern.

420 Millionen Euro hat Aeolus gekostet, sagt Esa-Wissenschaftler Thorsten Fehr. 300.000 Euro kostet nun noch einmal die Rückholmission. Wie allerdings eine Studie der London School of Economics ergab, beträgt der materielle Nutzen durch die präziseren Wettervorhersagen und Warnungen 3,5 Milliarden Euro.

Auch deshalb wird Aeolus-2 gebaut. Er wird neben der Forschung mehr noch als sein Vorgänger auf irdische Wetteranwendungen setzen. Mit einem erwarteten Nutzen von dann schon sieben Milliarden Euro.