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LKA besorgt über Zunahme von Gewalttaten Linksextremer

Beim Linksextremismus hat Leipzig nach Ansicht von Experten inzwischen Zentren wie Berlin und Hamburg den Rang abgelaufen.

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Polizisten räumen eine Kreuzung im Stadtteil Connewitz. Leipzig gilt als eine Hochburg der linken Szene (Archivbild).
Polizisten räumen eine Kreuzung im Stadtteil Connewitz. Leipzig gilt als eine Hochburg der linken Szene (Archivbild). © Archivbild: dpa/Sebastian Willnow

Dresden/Leipzig. Die Attacken laufen meist filmreif ab. In der Regel besteht ein Kommando linksextremer Gewalttäter aus fünf Leuten. "Einer sichert, einer hält die Stoppuhr, einer führt das Kommando, und der Rest schlägt zu oder wirft die Brandsätze", sagt Dirk Münster, Leiter des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums am Landeskriminalamt Sachsen (LKA). Alles dauert nur ein paar Minuten. Und nachher ist die Spurenlage nicht gerade üppig.

Münster spricht von einem "lernenden Organismus". "Sie werten unser Vorgehen und die Ermittlungsakten aus, versuchen eigene Fehler nicht noch einmal zu machen." Da gebe es Jurastudenten, die Akten lesen, und Leute, die technische Möglichkeiten der Polizei bei den Ermittlungen analysieren. Inzwischen werde am Tatort eine Art Chlorflüssigkeit versprüht, um DNA-Spuren und Geruchsspuren zu vernichten. Dann habe man bei der Spurensuche nur schlechte Karten.

"Sie schauen sich genau an, wie unser Einsatz gelaufen ist, und richten sich danach. Da werden regelrechte Arbeitszirkel gebildet. Das Vorgehen ist professionell", schätzt der Leitende Kriminaldirektor ein. Auch wenn das Hauptaugenmerk weiter auf dem Rechtsextremismus im Freistaat liegt, sind die Experten im Landeskriminalamt beunruhigt. Die Dynamik bei Gewalttaten "politisch motivierter Kriminalität links" - so die offizielle Bezeichnung - nimmt zu.

Brandanschläge auf Baustellen und Baufirmen

Im vergangenen Jahr wurden linksextremen Gewalttätern in Sachsen 231 Straftaten zugeordnet, auf der rechten Gegenseite waren es 75. "Linke Gewalt gibt es inzwischen drei Mal mehr. Das ist eine schlechte Entwicklung", sagt Münster. Dass die rechte Szene immer besser unter Kontrolle geraten ist, führt er vor allem auf den hohen Verfolgungsdruck der vergangenen Jahre zurück. Doch auch Linksextremisten können sich nicht sicher fühlen.

Nach einer Serie von Anschlägen mutmaßlicher Linksextremisten hatte Sachsens Polizei im November 2019 die Bildung einer Sonderkommission - Soko LinX - bekanntgegeben. "Auf diese Entwicklung werden wir hart und konsequent reagieren", sagte Innenminister Roland Wöller (CDU) damals. Man lasse nicht zu, dass eine linksextremistische Szene den Rechtsstaat und seine Bürger terrorisiere. Am 1. Dezember 2019 nahm die Soko LinX ihre Arbeit auf. Offiziell hat sie 25 Mitarbeiter.

Zuvor hatte es in Sachsen wiederholt Brandanschläge auf Baustellen und Baufirmen gegeben, bei denen Extremisten aus der linksextremen Szene unter Verdacht gerieten. Die Gewalt eskalierte, als Anfang November 2019 zwei vermummte Täter eine 34-jährige Frau - Prokuristin einer Immobilienfirma - in ihrer Leipziger Wohnung überfielen und ihr Faustschläge versetzten. Sie wurde verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Die Täter sind bis heute nicht überführt.

Diese Tat war auch für die Ermittler neu. Bis dahin hatte sich die linksextreme Szene vor allem an Rechtsextremisten abgearbeitet. Gezielte Angriffe auf Rechte gibt es nach Angaben des LKA seit vielen Jahren. Vor allem, nachdem im Internet die sogenannte 218er-Liste auftauchte. Anfang Januar 2016 war ein vermummter rechter Mob durch das Leipziger Szeneviertel Connewitz gezogen und hatte mit Stangen und Äxten Scheiben von Wohnungen, Läden, Kneipen und Autos demoliert.

Gegenreaktionen auf der anderen Seite

218 Tatverdächtige standen später vor Gericht, viele von ihnen wurden zur Zielscheibe linker Gewalttäter. Die Szene beeinflusst sich gegenseitig, wie Münster erklärt. Eine Zunahme rechter Gewalt führe zu Gegenreaktionen auf der anderen Seite. Wenn Tatverdächtige aus beiden Lagern vor Gericht stünden, gebe es aber häufig Unterschiede. "Linksextreme Tatverdächtige sprechen weder mit uns, noch lassen sie sich vor Gericht ein. Bei Rechten will immer mal einer aussagen."

Dirk Münster fasst das Durchschnittsprofil linksextremer Gewalttäter so zusammen: Männer zwischen 20 und 30 Jahren, gebildet, oft studentisches Milieu. Dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen eine Studentin aus Leipzig Anklage erhoben hat, fällt ein wenig aus dem Rahmen. Sie soll als Kopf einer Gruppe gezielt Akteure der rechten Szene überfallen und zusammengeschlagen haben. Vier Tatverdächtige sollen sich nun vor Gericht verantworten.

Trotz wachsender Fallzahlen will das LKA das Thema Linksextremismus nicht dramatisieren. Im sächsischen Verfassungsschutzbericht von 2019 wird die Szene auf 760 Leute beziffert, 415 gelten als gewaltbereit. Gegenüber den Vorjahren sind die Zahlen leicht rückläufig. "Anfangs standen wir wie vor einer Wand. Heute haben wir einen besseren Blick auf die Personen, die potenziell als Straftäter in Frage kommen", berichtet Münster.

Untersuchung zur politisch motivierten Kriminalität in Sachsen

Um das Phänomen besser zu begreifen, nutzen die Ermittler auch die Dienste von Forschern. Derzeit läuft am LKA eine wissenschaftliche Untersuchung zur politisch motivierten Kriminalität in Sachsen. Auf diese Weise will man erfahren, welche Katalysatoren die Entwicklung beeinflussen. Krisen wie die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise oder die Corona-Pandemie haben die Fallzahlen für diese Art von Kriminalität stets in die Höhe getrieben.

«Die gesellschaftliche Polarisierung ist der Schrittmacher für die politisch motivierte Kriminalität», formuliert Münster eine These, wenngleich die Studie noch nicht abschließend vorliegt. Einige Trends stehen aber fest. Trotz guter Vernetzung agieren linke Gewalttäter in Kleingruppen - wenn auch unter einem ideologischen Überbau. Zunehmend spielen trainierte Kampfsportler aus Antifa-Sportgruppen eine Rolle. Und auch Beschaffungskriminalität wie Diebstahl und Drogenhandel gibt es. "Am Ende sind das auch nur Kriminelle", sagt Münster. (dpa)